Als ich gerade mit der Fotografie angefangen habe und meine Bilder bei Instagram veröffentlichte, war ich erschlagen von der großen Anzahl an wundervollen Fotografien, die ich dort sah. Doch nach einiger Zeit machten mich diese vielen Bilder nervös, vor allem nachdem ein Freund mir ein Bild zeigte, das einem meiner sehr ähnlich sah. Was er mir schrieb, klang ein wenig so, als ob er denkt, dass ich bei einem anderen Fotografen „abgeguckt“ hätte. Und obwohl ich es nicht getan hatte, war klar, dass ich es nicht beweisen konnte. Alles, was ich sagte, klang für ihn vermutlich wie eine Ausrede. Meine Konsequenz daraus war, dass ich vielen Accounts, die ähnliche Dinge wie ich fotografierten, nicht mehr folgte. Ich versuchte mich zu isolieren, aus dem Wunsch heraus, mich nicht von fremden Bildern beeinflussen zu lassen. Selbst wenn mir jemand unterstellen würde, ich hätte bei jemanden abgeguckt, konnte mein Gewissen rein sein. Auf diese Art und Weise arbeitete ich bis ins letzte Jahr hinein. Ich merkte nicht, dass ich mir damit eigentlich nur selbst schadete.
Entdeckung von Domestika: Eine Welt voller kreativer Möglichkeiten
Irgendwann stieß ich 2022 auf Domestika, ein Anbieter für eine fantastische Fülle von Onlinekursen im kreativen Bereich. Dort sah ich mir einen Kurs über Fotomontagen in Photoshop an. Die Dozentin, Natacha Einat, führte mich durch ihren gesamten Workflow, von der Idee bis zum fertigen Bild. Ich war sehr überrascht, dass sie sich zu ihrem selbst gewähltem Thema die Bilder anderer Künstler ansah, um sich inspirieren zu lassen. Das verstieß vollkommen gegen meinen „Kodex“. Ich ging davon aus, dass auch andere Künstler so arbeiten würden, um sich nicht vorwerfen lassen zu können, dass sie bei jemandem geklaut hätten. Aber auch in weiteren Kursen stellte ich fest, dass all diese wunderbaren und hervorragenden Künstler sich von Kollegen inspirieren ließen. Meine kleine Welt, in der ich zwei Jahre lebte und recht allein war, wurde auf einmal groß und bunt. Ich machte unsicher einen Schritt vorwärts. Es fühlte sich an, als ob ich eine riesige Wiese betrete, mit weichem Gras, bunten Blumen und Phantasiewesen, die ich niemals zuvor gesehen hatte. Andere Bilder zu sehen, beflügelte mich plötzlich. Es kamen mir Ideen, die mir nur aus meinen einsamen Gedanken heraus niemals gekommen wären. Doch noch immer hatte ich das Gefühl, ein hinterhältiger Dieb zu sein, auch wenn die Weiterführung des Werkes eines anderen Künstlers eine ganz andere Bedeutung oder sogar ein anderes Thema hatte. Passender Weise fiel mir in dieser Zeit das Buch „Alles nur geklaut“ von Austin Kleon in die Hände.
Kreativität durch Inspiration und Remix
„Wie geht Kreativsein? Austin Kleon zeigt in dieser originellen Anleitung, dass das gar kein großes Geheimnis ist. Jeder kann es! Alles was du wissen musst: Nichts ist neu!
Also lass Einflüsse zu, lerne durch die Arbeit anderer, remixe und entdecke so deinen ganz eigenen Weg.“
(Auszug des Klappentextes v. Austin Kleon – „Alles nur geklaut“)
Mir wurde endlich bewusst, dass man, laut Kleon, ein „guter Dieb“ sein kann, in dem man sich von Werken vieler anderer inspirieren lässt, sie nutzt, um eigenes Wissen zu vertiefen und letztendlich aus all dem ein eigenes Werk entstehen lässt. Erst jetzt sehe ich die vielen verschiedenen Möglichkeiten, die es gibt, ein Motiv zu fotografieren. Durch die Bilder anderer sehe ich, was ich möchte oder was ich eben nicht will. Ich sehe neue Wege, mit Licht zu malen und meine innersten Gedanken auszudrücken. Da ich niemanden nachmache, sondern die Ideen anderer sich in meinem Kopf weiterentwickeln, sind sie originell und einzigartig. Meine Gedanken, die Aufnahme, die Bearbeitung und Betitlung sind dafür verantwortlich, dass ein Bild mein Bild ist. Es ist, als ginge man den gleichen Weg, aber ich nehme irgendwann eine Abbiegung und laufe meinen eigenen Weg weiter. Die Landschaft mag vielleicht ähnlich sein, dennoch ist sie ganz anders. Vielleicht verändert sie sich aber auch vollkommen. Es ist ähnlich wie beim Spiel „Assoziationskette“, das ich als Jugendliche mit meinen Freundinnen ganz oft gespielt habe und noch immer liebe. Ein Wort wird genannt und man muss darauf ganz schnell ein neues Wort nennen, dass man mit dem zuvor genannten Wort in Verbindung bringt. Auf genau dieser Weise beflügeln die Werke anderer, die nicht einmal Fotografien sein müssen oder ein ganz anderes Thema haben, meine eigenen Gedanken. Sie wachsen durch meine Phantasie zu vollkommen neuen Welten. Meine Kreativität entwickelt sich plötzlich rasant in viele unterschiedliche Richtungen. Ich bin fähig, Bilder zu kreieren, die mir vorher niemals in den Sinn gekommen wären.
Die anhaltende Angst vor fehlender Originalität
Und obwohl ich all das weiß und im Herzen auch spüre, ist die Angst, nicht originell und einzigartig zu sein, gegenwärtig. Ich möchte gerne etwas Besonderes zeigen, mit Bildern, die mich und meine Sicht auf unsere Welt repräsentieren. Ich möchte Geschichten erzählen, meiner Phantasie einen Raum geben und Dich an allem teilhaben lassen und begeistern.
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