Vor kurzem fragte mich meine liebe Mentorin Verena Sati, ob ich nicht Lust hätte, einen Beitrag für ihre Mastermindgruppe, in der ich Mitglied bin, zu schreiben. „Klar, mache ich gerne!“ war meine Antwort. „Welches Thema soll ich nehmen?“, fragte ich sie. „Das darfst du dir aussuchen.“ „Na, dann nehme ich `Perfektionismus´!“, kam es blitzschnell aus meinem Mund geschossen.

Eine halbe Stunde später war die erste Euphorie auch schon wieder dahin. Weshalb habe ich mir ausgerechnet dieses Thema ausgesucht, wo mir Perfektionismus doch so viele Probleme bereitet? Seit Monaten habe ich zum Beispiel Wandbilder und Grußkarten mit meinen Motiven zu Hause liegen, die ich gerne bei Etsy verkaufen würde. Ich muss „nur noch“ die Produktbilder fertig machen. Doch vor lauter Angst, dass diese nicht gut genug werden, fange ich gar nicht erst an. Oder ist es vielleicht die Angst, dass meine Produkte nicht gut genug sind und sie letztlich niemand kaufen wird?

Muss meine Arbeit wirklich jedem gefallen?

Während ich darüber nachdenke, schiebe ich den Schriftzug für eine Instagram-Story in Canva hin und her. Ich weiß nicht genau, wie lange ich damit beschäftigt war, bis mir es endlich bewusst wird. Ich frage mich plötzlich, ob es tatsächlich jemandem auffällt, wenn die Schrift zwei Zentimeter weiter links steht. Oder rechts. Ist dann wirklich alles so unharmonisch, dass es nicht ästhetisch ist? Lohnt dieser Aufwand für eine Story, die, wenn der Betrachter gnädig ist, gerade mal 15 Sekunden zu sehen ist? Dazu darf man nicht vergessen, dass ich mit den Storys bei Instagram kein Geld verdiene. Sie dienen einzig dazu, die Menschen, die gerne in meiner Story stöbern, ein bisschen zu unterhalten und, bestenfalls, den Tag für einen kurzen Moment ein klein wenig zu verschönern. Weshalb glaube ich, dass es tatsächlich jemanden interessiert, wo die Schrift steht? Oder eine eingefügte Illustration? Wenn ich mir Storys anderer ansehe, habe ich noch nie gedacht „Um Himmelswillen, wie sieht es denn hier aus? Da hätte die Schrift aber um 1 Grad stärker geneigt sein müssen…“ Warum sollten also andere so denken? Und selbst wenn ihnen etwas an meiner Story nicht gefällt, was ja durchaus passieren kann, hätte daran eine größere oder kleinere Schrift was ändern können? Muss das, was ich mache, wirklich jedem gefallen?

Mit kritischem Blick beschließe ich, dass die Story, so wie sie ist, gut ist. Aber in mir macht sich ein unangenehmes Gefühl breit und ich schließe die Datei mit einem Stirnenrunzeln nur widerwillig.

Perfektion = ohne Fehler?!

Was versuche ich mit meinem „Perfektionismus“ zu erreichen? Was ist es, dass mich dazu bringt, mich länger mit meinen Projekten zu beschäftigen, als es tatsächlich sinnvoll wäre. Oder, wie im Fall meiner Produktbilder, gar nicht erst anzufangen? Ich schaffe es nicht so richtig, es zu umschreiben. Es muss eben ganz einfach perfekt sein.

Ich frage mich, wie ich denn „Perfektion“ definiere, aber es in Worte fassen kann ich nicht. Ein schwammiges Gefühl macht sich in mir breit. Bei der Suche im Internet finde ich von Oxford Languages dann folgende Definition zum Wort „perfekt“:

„(im Hinblick auf bestimmte Fähigkeiten, die Ausführung von etwas) so gut, dass nicht das Geringste daran auszusetzen ist

Ähnlich: einwandfrei – fehlerfrei – fehlerlos – frei von Mängeln – makelos – meisterhaft“

Synonyme wie „fehlerfrei“ verdeutlichen mein Problem

Während 2 + 2 = 4 ist, und zwar immer und überall, gibt es bei dem, was ich mache, keine eindeutigen „Fehler“. Sicherlich, ich kann mein Produkt so ungünstig fotografieren, dass es kaum jemanden anspricht, also nicht verkaufsfördernd ist. Aber wie ist es bei den reinen Kreativ-Arbeiten, die ich erledige? Ich fotografiere so, wie es mir gefällt. Man kann sicherlich über die Wahl der Blende und über Schärfe diskutieren. Oder über Belichtung und ISO-Wert. Aber letztendlich sind auch das alles gestalterische Mittel, mit denen ich mein Motiv hervorheben kann und dessen Umgebung forme. Und wenn Du Dir denkst, dass mein Bild mehr Schärfentiefe benötigt, ist das Dein Gedanke, nicht meiner. Es wird immer passieren, dass meine oder Deine Arbeit jemandem nicht gefällt.

Uns ist doch im Grunde schon längst klar: wir können es nicht jedem Recht machen und sollten es auch gar nicht erst versuchen, denn dabei blieben nur wir selbst auf der Strecke. Beim Perfektionismus dreht es sich damit also wohl hauptsächlich um mein ganz persönliches „Perfekt“.

Perfektionismus – meine Angst vor dem Versagen

Ich gebe in der Suchmaschine des Webbrowsers „Perfektionismus“ ein. Direkt als erstes wird mir ein kleiner Ausschnitt eines Blogartikels der „Oberberg Kliniken“, eine psychiatrische Klinikgruppe in Deutschland, angezeigt:

„Charakteristisch für Perfektionisten sind hohe Standards, hohe Ziele und hohe Ansprüche an sich selbst. Mit Perfektionismus gehen häufig eine große Versagensangst, Befürchtungen zu scheitern oder Angst vor dem Verlust von Wertschätzung und Ansehen durch Mitmenschen einher.“

Es geht also meiner Perfektion nicht um Makellosigkeit oder der Erschaffung eines „Meisterwerkes“. Mir wird ziemlich mulmig, denn wenn es meinem Gefühl schon längst irgendwie klar ist, wird mir jetzt richtig bewusst, dass mein ganz persönlicher Perfektionismus aus Angst besteht. Ich habe Angst, zu Scheitern und Angst, mich mit meinen Bildern, meinen Storys und meinen Produkten lächerlich zu machen.

Bei Wikipedia finde ich dazu:

„Abzugrenzen ist Perfektionismus von hoher Gewissenhaftigkeit. Das Streben nach Perfektion bringt den Menschen zu guten Leistungen. Ist es aber vor allem durch Angst motiviert, kann es umschwenken in pathologischen Perfektionismus. Dieser kann das Leben hemmen und die Person an der eigenen Entfaltung hindern.“

Ja, ich hemme mich selbst. Ich stehe mir mit meinen Sorgen so sehr im Weg, dass ich gar nicht erst mit meinen Produkten online gehe. Noch weniger mit meiner im Aufbau befindlichen Website, von der bisher kaum jemand weiß. Es ist nicht nur, dass ich Angst habe, mit meinem Traum zu scheitern. Jedes einzelne Wort in den Storys, jedes von mir veröffentlichte Bild, jeder Gedanke im Text der Posts bei Instagram und jedes kleine Wörtchen dieses Artikels hier kommt aus meinem Inneren. Es geht nicht darum, sachlich gemessen zu werden. Wenn ich nicht rechnen könnte und bei mir 2 + 2 = 8 wäre, würde ich kritisiert werden. Es ließe sich nicht abstreiten, dass ich nicht rechnen kann. Aber bei Arbeiten, die Gefühle beim Betrachter oder Leser auslösen oder nicht eindeutig messbar sind, ist so viel Spielraum für Kritik von außerhalb. Und da diese Kritik indirekt meine Gefühle, Werte und Gedanken betrifft, bin ich verletzlich. Also versuche ich alles, um jeglicher Kritik aus dem Weg zu gehen. Ich schiebe Schriftzüge viel zu lange hin und her, vermeide es, im Internet zu zeigen, dass man meine Bilder kaufen kann und traue mich nicht, meine Bilder für Composites zu nutzen.

Meine Arbeit wird niemals jedem gefallen

Eins ist für mich jetzt offensichtlich: Perfektionismus sucht nicht nach Perfektion. Er sucht nach Fehlern!

Und was mache ich nun mit dieser Erkenntnis? Ich würde jetzt gerne schreiben, dass ich Morgen sofort mein Wandbilder fotografiere und bei Etsy online stelle. Aber natürlich ist klar, dass dies nicht so einfach sein wird, auch wenn es im Grunde ganz leicht erscheint. Vielleicht kann ich jemanden buchen, der mir meine Produktbilder nach meinen Wünschen erstellt, denn schließlich muss ich nicht alle Arbeiten selbst erledigen. Und obwohl mir dies wirklich sehr helfen würde, ist das nicht die ganze Lösung. Es wird immer wieder passieren, dass meine Arbeit von Menschen kritisiert wird. Was ich mache, kann nicht jedem gefallen. Es gibt schließlich auch Lieder meiner Lieblingsband, die nicht meinen Geschmack treffen. Und auch wenn Kritik an meiner Arbeit mich natürlich berührt, sollte ich sie trotzdem nicht persönlich nehmen.

Wenn ich merke, dass ich wieder viel zu lange an Kleinigkeiten in meinen Storys oder Bildern festhalte, sollte ich mir ins Gedächtnis rufen, weshalb dies geschieht. Vor Kritik ist niemand sicher. Viel zu viele Menschen glauben heutzutage, dass ihre Meinung die einzig richtige ist und nehmen sich heraus, alles und jeden, auch gerne ungefragt, zu kritisieren. Und natürlich sollte man, zumindest in ihren Augen, für diesen kostenlosen Rat Dankbarkeit zeigen.

Sei leise, Perfektionismus!

Ich sollte mir immer wieder bewusst machen, dass ungewohnte Situationen mich verunsichern. Wahrscheinlich werde ich immer nervös sein, wenn ich ein neues Produkt in meinem zukünftigen Shop stellen werde, aber um so häufiger ich dies mache, desto sicherer werde ich. Niemand ist vor Fehlern sicher. Doch mein Arbeitsbereich verzeiht sie. Meine Welt wird nicht direkt untergehen, wenn etwas schief gegangen ist. Und ich werde nicht sterben, wenn ich kritisiert werde. Vielleicht schaffe ich es mit diesen Gedanken meinen inneren Perfektionisten ein bisschen leiser werden zu lassen.

In der Erkenntnis meiner eigenen Verletzlichkeit und dem Verständnis, dass Perfektion nach Fehlern sucht, entscheide ich mich, meine Arbeit losgelöst von der Angst vor Kritik und Fehler zu gestalten. Indem ich mir bewusst mache, dass Unvollkommenheit Teil des kreativen Prozesses ist und mir neue Herausforderungen erlaube, beginne ich, den Perfektionismus zu entmachten und erlaube mir, einfach „Ich“ zu sein.